5.

Die Telefonkonferenzen wurden fortgesetzt und arbeiteten auf den 5. Juni als wahrscheinliches Invasionsdatum hin. Das war der mutmaßliche »D-Day«, auf den alle unsere Pläne abzielten. Anfangs hatte ich alle Hände voll damit zu tun, mit den Konferenzen mitzuhalten, und sehr wenig Zeit, in der ich hätte versuchen können, selbständig die Ryman-Zahl anzuwenden; aber in der vierten Maiwoche hatte ich langsam aufgeholt.

Mehr und mehr fiel mir auf, dass Petterssen und Krick bereit waren, Vorhersagen mit voller Überzeugung zu machen, die sie mit langen, ausgefeilten Argumentationsketten theoretischer oder statistischer Natur stützten. Douglas und die Leute von der Navy, Hogben und Wolfe, dagegen lagen mit ihren Prognosen häufiger richtig, allerdings nur über einen Tag, höchstens zwei. Das reichte Eisenhower nicht. Er brauchte fünf Tage Vorlauf, um eine Invasion zu starten.

Stagg wurde sehr reizbar. Auch ich spürte langsam die Belastung. Bei mir entwickelte sich wieder das lästige Leiden, dass ich unter Druck Nasenbluten bekam. Viele Wetterkarten trugen das Zeichen dieser Unpässlichkeit davon, und in den Konferenzen musste ich mir oft mit einer Hand die Nase zuhalten, während ich den streitenden Stimmen am anderen Ende zuhörte. Die Schwindelanfälle meiner Jugend, die dem Erdrutsch gefolgt waren, würden doch hoffentlich nicht auch noch wiederkehren?

Es war nicht nur bei mir und den anderen Meteorologen so. Bei allen im SHAEF waren die Nerven zum Zerreißen gespannt, vom untersten Kellner im Offizierskasino (es gab einen, der uns jedes Mal mit einem Tropfen an der Nase bediente) bis hinauf zu Eisenhower selbst. Ich sah den Oberbefehlshaber oft aufgebracht unter den Fichten bei seinem Wohnwagen rauchen.

Auch außerhalb der Kasernen füllten sich die Straßen mit Konvois von Menschen und Maschinen auf dem Weg an die Südküste. In wenigen Tagen würden Eisenhower und Teile des SHAEF ihnen folgen.

In den ersten Maiwochen war das Wetter sogar günstig. Es gab in dem Monat achtzehn geeignete Tage. Das Wasser stand niedrig genug, um die Minen und Sperrvorrichtungen an den Stränden zu entfernen, der Wind und das Mondlicht waren perfekt für Lufteinsätze - wir hätten wirklich angreifen können. Doch die Millionen Tonnen an Flugzeugen und Schiffen und die über zwei Millionen Menschen, die an der Operation teilnehmen sollten, standen noch nicht bereit. Außerdem befanden sich die Deutschen wegen des guten Wetters in erhöhter Alarmbereitschaft. Erst in der vierten Maiwoche ergab die Logistik als Zieldatum den 5., 6. oder 7. Juni.

Ob das Wetter an einem dieser Tage mitspielen würde, war eine andere Frage. Am 28. Mai (einem Sonntag) fuhr Stagg von Bushey Park hinunter, um sich mit Eisenhowers vorgeschobenem Gefechtsstand im Southwick House bei Portsmouth vertraut zu machen, wo wir in der Invasionswoche untergebracht werden sollten. Der Gedanke war, dass der Oberbefehlshaber und sein Chefmeteorologe in der Nähe des Hauptheeres sein sollten. Vor der ersten Konferenz des Tages (die Stagg aus Portsmouth führte, während ich in Bushey Park zuhörte) erzählte Stagg mir, dass die gesamte Fläche des Hauptmarinehafens jetzt Zentimeter für Zentimeter mit Schiffen bedeckt war. »Ich habe noch nie so viele gesehen«, berichtete er mir. »Es ist ein majestätischer Anblick. Wie eine Stadt auf dem Wasser.«

Bei der Konferenz selbst waren sich alle im Großen und Ganzen einig, dass das Wetter sich wahrscheinlich antizyklonal entwickeln würde, also eher gemäßigt, wie man es im Sommer auch erwarten würde. Doch schon als ich während des Gesprächs aus dem Fenster sah, glaubte ich zu sehen, wie der Himmel sich verdunkelte - nicht gleichmäßig, sondern fleckenweise nahmen Wolkenfetzen und -felder einen dunkleren Farbton an, während sie über den Himmel zogen. Eine Tarnung des Lichts.

Zwischen zwei Konferenzen saß ich allein in Staggs Büro und versuchte, die Reihe von Ryman-Zahlen für die vorhergesagten Bedingungen anzuwenden. Es war ohnehin nicht einfach und wurde noch schwerer dadurch, dass sich das Wetter wie befürchtet tatsächlich änderte, als ich angefangen hatte. Die lange Periode gemäßigter, hauptsächlich antizyklonaler Wetterbedingungen - während derer die Deutschen ihre Verteidigung am Kanal verstärkt hatten - würde bald zu Ende gehen. Ich ging zum Fernschreiber, um mir die aktuellen Beobachtungen anzusehen, die hereinkamen, und ich war schockiert, als ich las, was mir da auf dem Papier durch die Hände ruckte. Die neue Situation, die sich da entwickelte, hätte man selbst im Winter als sehr turbulent bezeichnet, ganz zu schweigen vom Hochsommer.

Es half auch nicht, dass wir von einem einzelnen, aber wichtigen Wetterschiff südlich von Island mit dem Codenamen WANTAC anscheinend falsche Windgeschwindigkeiten und Luftdruckwerte bekamen. Die Daten wichen etwas von denen der Schiffe in der Nähe ab. War der Unterschied zu groß, um ihn einer Ungenauigkeit in der Kalibration der Instrumente zuzuschreiben? Alle Windmessungen von Schiffen müssen die Störung des Luftstroms einberechnen, die das Schiff selbst verursacht, andernfalls können starke Verfälschungen auftreten. Als die Besatzung Funkkontakt aufnahm, um die Werte mitzuteilen, schwor sie hoch und heilig, dass die Messungen korrekt waren und dass die Windmesser so aufgestellt waren, dass sie nicht übermäßig vom Schiff selbst gestört werden konnten.

Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass mit den Aneroidbarometern und Windmessern von WANTAC etwas nicht in Ordnung war. Als ich dasaß und mir den Kopf darüber zerbrach, stellte ich mir vor, wie die Masten des Schiffes aus den schäumenden Wellen des Atlantiks aufragten gleich den unvergänglichen Türmen eines antiken Palasts, eines Archetyps des Herzens mächtiger Weltreiche.

Als ich aus diesem Tagtraum erwachte, nahm ich mir vor, mit Stagg über WANTAC zu sprechen, doch ich machte mir Sorgen, weil er schrecklich aufbrausend geworden war. Einmal verschüttete ich in dieser Zeit etwas Kaffee auf eine Wetterkarte, an der er gerade arbeitete. »Verdammt noch mal, Meadows!«, fuhr er mich an. »Können Sie bitte mal ein bisschen aufpassen? Es ist ja schon schlimm genug, dass Sie die Karten die ganze Zeit vollbluten, sie müssen Sie doch nicht auch noch mit Kaffee vollkippen!«

In Konferenzen sah ich oft, wie er sich neben mir auf die Lippe biss oder die Sprechmuschel abdeckte, wenn ihm ein Stoßseufzer entfuhr. Nachdem Stagg aus Portsmouth zurückgekehrt war, versuchten wir in einer zweiten Konferenz an diesem Sonntagabend des 28. Mai, eine Wettervorhersage bis Freitag, den 2. Juni, und darüber hinaus bis zu einem möglichen D-Day zu erstellen. Die meisten von uns waren der Überzeugung, dass schlechtes Wetter im Anmarsch war. Petterssen erwartete Gewitter, wie auch ich, und Hogben bei der Admiralität sagte starke Winde und bedeutende Tiefdruckgebiete voraus. Nur Krick war optimistisch wie immer und bestand nach wie vor darauf, dass es beim schönen Wetter bleiben werde.

»Sie haben nicht an die oberen Luftschichten gedacht!«, fuhr Petterssen ihn an. »Ich habe Ihre Prognose überprüft, und sie ist weitgehend korrekt. Nur der entscheidende Punkt des Einflusses der höheren Atmosphäre auf die Erdoberfläche, der zweifellos Gewitter bringen wird, fehlt bei Ihnen.«

Es gab eine kurze Stille. Die Leitung heulte und knackte.

»Bei der Frage der oberen Luftschichten bin ich Ihrer Meinung«, sagte Stagg, »und meiner Ansicht nach ist Widewings Einschätzung in diesem Fall eher unwahrscheinlich.«

»Ach ja?«, protestierte Krick. »Das ist doch verrückt. Ihr habt euch doch nur gegen mich verschworen, weil ich Amerikaner bin.«

Petterssen stieß etwas Norwegisches aus, sicher einen Fluch.

So ging es noch zwei Stunden lang weiter, ohne dass es zu einer Übereinkunft darüber kam, was uns bevorstand. Im Laufe des Streitgesprächs vergaß ich, Stagg nach den auffälligen Messwerten von WANTAC zu fragen.

Nachdem meine Nase wieder geblutet hatte, ging ich schließlich ins Bett, und mein Kopf kam mir vor wie ein Kaleidoskop aus Zahlen. Ich hatte eine Heidenangst, dass das Kizunguzungu-Gefühl zurückkehren könnte, aber ich wollte nicht wieder mit dem Trinken anfangen. Das Wort, das mit dem für Weiße (mzungu) verwandt war, ging mir nicht mehr aus dem Kopf, und während ich wegdämmerte, wirbelte es um seine eigene Etymologie wie ein Sandsturm, der über die Steppe jagte.

Es heißt, dass sie - wir - mzungu genannt wurden, weil Weiße so viel und so zwecklos herumlaufen, dass den Afrikanern ganz schwindelig wurde. Oder vielleicht lag es daran, dass die Weißen aus mehr als einer Richtung und mit mehr als einem Motiv kamen. Eine dritte Erklärung war, dass mzungu und kizunguzungu beide ihren Ursprung in Beschreibungen des Ozeans hatten, über den die fremden Schiffe kamen. An manchen Tagen, wenn er sich bis zur Raserei verwirbelt hat, gleicht der Ozean einer großen, schwindelerregenden Schüssel voll Schaum, die nicht zu verstehen ist. Dieser weiße Schaum ist mzungu.

Doch ich sah in dieser Nacht beim Einschlafen den Schaum eines Pint-Glases voll Bier, das - wie ein übergroßer Hauptfeldwebel vor einer Truppenkolonne - eine lange Reihe von Whiskygläsern anführte.

 

Die Geometrie der Wolken
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